Auszug aus der Festschrift
Vorwort des damaligen Bundesministers für Justiz zur Festschrift zum 150-jährigen Bestehens der Sozialen Gerichtshilfe
Dr. Wolfgang Brandstetter
Bundesminister für Justiz
Liebe Leserinnen und Leser,
die professionelle und persönliche Unterstützung von Straftätern über die Haftentlassung hinaus nimmt in der österreichischen Justiz – ganz im Sinne meines Grundsatzes „Prävention statt Repression“ – einen wichtigen Stellenwert ein. Denn eine gelungene Wiederintegration von Haftentlassenen in die Gesellschaft verringert vor allem die Gefahr von Rückfällen.
Dabei wird die Justiz auch von privaten Initiativen wie der „Sozialen Gerichtshilfe“ unterstützt. Die über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins leisten durch die ehrenamtliche Betreuung von ehemaligen Häftlingen über das Haftende hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Resozialisierung von Straftätern und somit für die gesamte Zivilgesellschaft. Daher freut es mich besonders, dass der Verein unter der Leitung von Hofrat Dr. Christian Kuhn in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert.
Die vorliegende Festschrift würdigt in zahlreichen Beiträgen die Leistungen der „Sozialen Gerichtshilfe“ und ermöglicht so einen Rückblick auf die langjährige Geschichte des Vereins.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!
Dr. Wolfgang Brandstetter - Bundesminister für Justiz
Hofrat Dr. Werner Pleischl
Generalprokurator
Der Verein „Soziale Gerichtshilfe“ feiert sein hundertfünfzigjähriges Bestehen. Das beeindruckt in mehrfacher Hinsicht: zunächst einmal durch diese hohe Zahl, die eine weit über ein Menschenleben hinausreichende Zeitspanne voller weltgeschichtlich bedeutender Ereignisse markiert. In dieser langen Zeit haben sich jedenfalls der Name, vielleicht auch die Bedeutung des Vereins und der Wirkungskreis der Mitglieder verändert, aber das Prinzip ist das gleiche geblieben: Ehrenamtliche Arbeit von Privatpersonen, unabhängig von Weltanschauung und Religion, sowohl die Helfenden als auch die Begünstigten betreffend.
Dieser unentgeltliche, beeindruckende Einsatz von Angehörigen der Zivilgesellschaft hat in vielen Bereichen große Bedeutung und bildet ganz grundsätzlich ein wesentliches, unverzichtbares Element unserer Gesellschaftsordnung. Doch hier kommt noch etwas Besonderes hinzu: Es handelt sich nicht nur um einen Einsatz für Menschen, die am Rande oder gar außerhalb unserer Gesellschaft stehen, sondern überdies für solche, die in der Regel wenig Sympathie in der Öffentlichkeit finden. Die MitarbeiterInnen des Vereins, die vielfach im Strafvollzug tätig sind, wissen aber, welche persönlichen und wirtschaftlichen Defizite diese Leute oftmals haben und dass unsere Gefängnisse keineswegs mit Sanatorien vergleichbar sind.
Dort Hilfe zu leisten bedeutet gelebte Nächstenliebe und praktizierten Humanismus. Die unverzichtbare Repression, die das Wesen des Strafvollzugs prägt, muss durch wohlwollendes Handeln und durch Verständnis – nicht für die Taten, sondern für die Menschen – ergänzt werden, damit wir den erreichten und erwünschten hohen Standard unserer Rechts- und sonstigen Kultur erhalten.
Nicht zuletzt leisten die Vereinsmitglieder damit auch einen Beitrag zur Sicherheit, denn abgesehen von den schwersten Fälle, die zum dauernden „Wegsperren“ zwingen, ist eine Rückführung in die Gesellschaft gefordert, und Resozialisation setzt Zuwendung voraus.
All das geschieht keineswegs unter verdientem Applaus der Öffentlichkeit, sondern, sofern diese überhaupt Notiz von Arbeit der Vereinsmitglieder nimmt, eher unter skeptischen Blicken.
Ich kann nur sagen: Danke für Ihre wichtige ehrenamtliche Arbeit!
Mag. Friedrich Forsthuber
Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien
Bereits 26 Jahre nach Fertigstellung des „Grauen Hauses“ (1839) wurde die Soziale Gerichtshilfe gegründet. Der Name des Vereins spiegelt die Nähe zur Tätigkeit des Gerichtes wider. Tatsächlich ist es für Entscheidungen des Gerichtes – insbesondere im Hinblick auf eine allfällige bedingte Entlassung - eine wesentliche Unterstützung zu wissen, ob ein Strafgefangener eine verlässliche und berechenbare Bezugsperson hat. Die Soziale Gerichtshilfe nahm damit schon viele Jahrzehnte vor der rechtlichen Einrichtung einer österreichweiten Bewährungshilfe (1975) derartige Aufgaben wahr.
Als Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien hatte ich mehrfach auch selbst Gelegenheit, an Supervisionssitzungen der Sozialen Gerichtshilfe teilzunehmen. Dabei beeindruckten mich das Engagement sowie die professionelle Arbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die aus den verschiedensten Berufen kommen und mit ihrem Besuchsdienst und der Begleitung von Gefangenen zu einem humanen Strafvollzug beitragen.
Die Soziale Gerichtshilfe hält aber auch verschiedene Fortbildungsveranstaltungen ab, wie z.B. die hochrangig besetzte Tagung zum Thema „Maßnahmenvollzug“ im Jahr 2011. In der Folge hat eine Arbeitsgruppe der Sozialen Gerichtshilfe unter Leitung des stellvertretenden geschäftsführenden Direktors Dr. Wolfgang Neuwirth Vorschläge erarbeitet, die viele Anliegen der gegenwärtig laufenden Diskussion zur Reform des Maßnamenvollzugs angesprochen haben.
Ich gratuliere der Sozialen Gerichtshilfe zu ihrem 150jährigen Bestand und wünsche den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auch künftig viel Erfolg bei ihrem wichtigen Engagement.
Hofrätin Mag. Helene Pigl
Leiterin der Justizanstalt Josefstadt
Die Soziale Gerichtshilfe feiert heuer unglaubliche 150 Jahre ihres Bestehens.
Als Leiterin der größten Anstalt Österreichs darf ich dazu herzlich gratulieren.
In den vergangenen 7 Jahren hatte ich die Gelegenheit, fallweise an den Supervisionssitzungen der Sozialen Gerichtshilfe teilzunehmen und auch mit meinem vollzugsinternen Wissen kleine Hilfestellungen zu leisten.
Interessant sind nicht nur die Menschen, die unentgeltlich für Straffällige tätig sind, sondern auch die Inhalte der Berichte. Beispielsweise erhält man Einblick in Lebensgeschichten der Betreuten, die großteils nichts mit einer durchschnittlichen Biographie der in Österreich lebenden Menschen zu tun haben. Die Ängste, Nöte, Hoffnungen und Wünsche der Inhaftierten sind vielfältig. Immer wieder stellt sich mir die Frage, was wäre, wenn es nicht das zusätzliche Angebot der MitarbeiterInnen der Gerichtshilfe auf ein Gespräch gebe?
Oftmals ist es so, dass die InsassInnen das erste Mal in ihrem Leben dauerhaft, verlässliche Zuwendungen erleben. Das Gefühl auch in dieser Situation der Haft nicht allein zu sein, sich mitteilen zu können, so angenommen zu werden wie man ist und nichts beschönigen zu müssen, ist sicher sehr hilfreich.
Aufgrund Berichte erfahre ich viel, gleichsam aus der „Außensicht“, über organisatorische Abläufe, Anstaltsklima, Möglichkeiten aber auch Unwägbarkeiten im Strafvollzug. Vieles im Vollzug ist schwer veränderbar, etwa räumliche Gegebenheiten, begrenzte Personalkapazitäten sowie die Tatsache für die Inhaftierten, „ihre“ Zeit in Haft verbringen zu müssen. Wie jedoch die Zeit der Haft von den Inhaftierten erlebt wird, hängt in erster Linie von den dort tätigen Menschen, den MitarbeiterInnen im Vollzug, als auch den unentgeltlich arbeitenden externen Personen ab.
Das Engagement für Leute in Haft ist für mich nicht nur Eigennutz unter dem Titel: „Ich mache etwas Gutes“, sondern auch eine gesellschaftlich bedeutende Tat. In diesem Gesamtgefüge der Vollzugsanstalten bedeuten die MitarbeiterInnnen der Sozialen Gerichtshilfe für viel InsassenInnen einen Lichtblick im Vollzugsalltag. Das Gespräch mit externen Menschen hat sich über viele Jahre bewährt. Wie viele engagierte Personen in dieser Zeit bereits Hilfestellungen, allein durch ihr Kommen und Zuhören, geleistet haben, kann man nur erahnen.
Ich möchte allen in der Sozialen Gerichtshilfe tätigen Personen, die uneigennützig für so viele Menschen tätig sind, für ihr laufendes Engagement danken. Für die Betreuten hoffe ich, dass auch weiterhin engagierte Menschen in bewährter Weise für sie da sein werden.
Reg. Rätin Amtsdirektorin Brigitte Wiesinger
Die Supervisionen
Aus den Archivunterlagen ist ersichtlich, dass Dr. Wolfgang Doleisch 1956 den Verein „Soziale Gerichtshilfe für Erwachsende“ als Trägerorganisation für Schutzaufsichten (einer Form von früher Bewährungshilfe) reaktivierte. 1969 wird die Bewährungshilfe auf rechtlichen Grundlagen gestellt und im Zuge der großen Strafrechtsreform 1975 auf Erwachsende ausgedehnt. Die Arbeitshäuser und geschlossenen Erziehungsanstalten werden aufgelöst. Der Strafvollzug bekommt einen Behandlungs- und Resozialisierungsauftrag, spezialisierte Vollzugsanstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher werden errichtet.
Seit 1970 wurde im österreichischen Strafvollzug Group Counselling (Gesprächsgruppen) für Insassen angeboten. In wöchentlichen Sitzungen diskutieren Insassen über aktuelle Fragen, Probleme aus dem Haft- und Lebensalltag und konnten dadurch grundlegende kommunikative Fähigkeiten und soziale Kompetenzen erwerben. Die Leitung dieser Gruppe erfolgte durch speziell ausgebildete Justizbedienstete, die an einer regelmäßigen Supervision durch Psychologen teilnahmen. Federführend in diesem Bereich war Hofrat Dr. Otto Wilfert, der es verstand, durch seine emotionale und direkte Art die Mitarbeiter zu motivieren und zu begeistern. Mich selbst hat er jahrelang bei meiner Gruppenarbeit begleitet und mein Interesse an straffällig gewordenen Menschen und deren Familie gefördert und intensiviert.
Durch die Umstellung von Schutzaufsicht in Bewährungshilfe wurden nun von den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Vereins hauptsächlich Insassen und Haftentlassene betreut, die nicht unter Bewährungshilfe fielen. 1975 wurden von Dr. Wilfert und Prof. Ernst Federn regelmäßige Fortbildungsseminare und monatliche Supervisionssitzungen für ehrenamtliche MitarbeiterInnen der Sozialen Gerichtshilfe begonnen und begleitet.
Prof. Ernst Federn (1914-2007) entstammte der Kultur des assimilierten Wiener Judentums. Seine Eltern waren Schüler und Weggefährten von Sigmund Freud. Ernst Federn überlebte 1938 bis 1945 die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. 1948 emigrierte er in die USA und absolvierte von 1948-1951 das Studium der Sozialarbeit, 1950-1953 die Ausbildung in Psychoanalyse. Er war als Sozialtherapeut und Supervisor tätig. Nach seiner Rückkehr 1972 nach Wien war er bei der Bewährungshilfe und von 1973-1987 als Sozialtherapeut in österreichischen Strafvollzugsanstalten tätig. In dieser Zeit begann auch seine Mitarbeit beim Verein für Soziale Gerichtshilfe. Er organisierte Fortbildungsveranstaltungen und betreute vor allem bis kurz vor seinem Tod die monatlichen Supervisionssitzungen der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen.
Ín den monatlichen Fallsuperversionen treffen sich die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen(Vertreter verschiedener Berufe), um die Besonderheiten eines bestimmten Klienten zu besprechen, den Umgang mit ihm zu planen und zu verbessern. Die Ziele der Supervisionssitzungen sind Entlastung der Betreuenden und Verbesserung der Betreuung. Die Gruppe dient dabei als Spiegel, in dem Konflikte und Ressourcen deutlich werden und Lösungen gefunden werden können.
Regelmäßig werden auch Fortbildungsveranstaltungen zu bestimmten Themen und Schwerpunkten im Strafvollzug angeboten, Gäste aus verschiedenen Fachbereichen informieren über offene Fragen.